Lebenswichtige Medikamente der Grundversorgung: Schweiz kann in Vorreiterrolle Europa aus negativer Preisspirale führen
Europaweit hat eine seit Jahren anhaltende negative Preisspirale Anbieter von Medikamenten der Grundversorgung an den Rand der Wirtschaftlichkeit gebracht. Mit der Um- setzung der differenzierten WZW (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit)-Kriterien hat die Schweiz die einmalige Chance zu zeigen, wie man dieses vorrangige Problem unter Kontrolle bekommt.
Die Lage ruft nach schnellem und entschlossenem Handeln, da eine Reihe von Faktoren zu einer drastischen Verschlechterung der Schweizer Bevölkerung mit Arzneimitteln der Grundversorgung geführt haben. So listet drugshortage.ch aktuell 567 nicht lieferbare Produkte/Dosierungen und 733 nicht lieferbare Packungen sowie 277 betroffene Wirkstoffe (ATC-Gruppen) auf (Stand 15.10.2024) auf. Hinsichtlich dieser akut sich verschärfenden Lieferengpässe bei lebenswichtigen Medikamenten reiht sich die Schweiz in eine lange Liste anderer europäischer Länder ein.
Die Kosten steigen, amtlich festgelegte Preise sinken ungebremst weiter
Ein zentraler Grund für die Lieferengpässe bei lebenswichtigen Medikamenten wie Antibiotika liegt bei den immer weiter sinkenden Preisen bei Generika, die etwa 70% aller in Europa abgegebenen Medikamente, aber nur 29% der von den nationalen Gesundheitsbehörden für Medikamente ausgegebenen Gelder ausmachen. Ein ruinöses Ausschreibungssystem und regulierte Preise haben den Wettlauf nach unten angeheizt und einige europäische Unternehmen gezwungen, die Produktion zu drosseln oder ganz einzustellen. Verschärft hat die Situation für die Anbieter zudem der Sachzwang, dass trotz steigender Kosten die Preise oftmals nicht angehoben werden können. Eine Überarbeitung der Preissysteme hat deshalb höchste Priorität, um einer weiteren Erosion der Branche und Zuspitzung der Versorgungslage Einhalt zu gebieten.
Schweiz kann bei Problemlösung vorangehen
„Wir sitzen mit anderen europäischen Ländern in einem Boot“, stellt Intergenerika Geschäftsführer Dr. Lucas Schalch fest. „Die hierzulande und in Europa sich zuspitzende Versorgungslage vor Augen begrüsst Intergenerika die Initiative zur Einführung von differenzierten WZW-Kriterien zur Stärkung der Versorgungssicherheit. Es braucht klare, transparente und nachvollziehbare Prozesse, um die negative Preisspirale zu stoppen und um untere Preisgrenzen für lebenswichtige Medikamente der Grundversorgung festzulegen. Preise von lebenswichtigen Medikamenten, deren Preise unter dieser Preisgrenze sind, gilt es auf diese Preisgrenze zu erhöhen. Schliesslich bedarf es einer Anpassung der Preisgrenzen an die Kostenentwicklung im Zeichen inflationärer Tendenzen.“
Befürchtungen sind unangebracht
„Wir beobachten eine regelrechte Ausdünnung der Grundversorgung – bis zum totalen Wegfall von therapeutischen Möglichkeiten“ führt Schalch fort. „Davon besonders betroffen sind Nischenprodukte wie z.B. Kinder-Arzneimittel – aber auch die alten, etablierten Onkologika oder Antibiotika.“ Ange- sichts dieser Herausforderung nationaler Tragweite entkräftet der Intergenerika Geschäftsführer Vorbehalte und Befürchtungen: „Das Argument, die Umsetzung der WZW-Kriterien würden zu höheren Gesundheitskosten führen, ist nicht haltbar, da diese Medikamente nur einen Bruchteil der Gesundheitskosten ausmachen und die Kosten, welche durch die Nichtverfügbarkeit dieser Medikamente generiert werden, um etliches höher sind.“ Dem Widerstand der Anbieter von patentgeschützten Arzneimitteln mit dem völlig unverständlichen Argument der Ungleichbehandlung sei entgegen- zuhalten, dass es sich um diametral unterschiedliche Märkte handle – auf der einen Seite die alten, lebenswichtigen Medikamenten, die für echte Innovationen im Schweizer Gesundheitswesen auf der anderen Seite überhaupt keine Gefahr darstellen. „Auch der Widerstand der Versicherer, Versicherten und des Preisüberwachers ist haltlos, da die Engpässe bei lebenswichtigen Medikamenten der Grundversorgung zu einer Kostensteigerung im Gesundheitswesen führen“.
Sicherung der Medikamenten-Grundversorgung statt undifferenziertes Preisdumping
„Die Verhandlungspartner und Entscheidungsträger sollten die Gunst der Stunde ergreifen, mit der Umsetzung der WZW-Kriterien die ruinöse Preisabwärtsspirale zu stoppen. Der Schlussbericht 2024 der Interdisziplinären Arbeitsgruppe mit den Umsetzungsvorschlägen zu den Massnahmen des BAG- Berichts Arzneimittelversorgungsengpässe schafft hierzu die fachliche Expertise und Legitimation“, schliesst Lucas Schalch. „Im Sinne von Wohl und Gesundheit der Patientinnen und Patienten ist hier definitiv rasche Einigkeit angesagt.“