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Sich zuspitzende Versorgungslage legt differenzierte Überprüfung von Medikamentenpreisen zwingend nahe

Vor Gesprächen mit dem BAG zur Umsetzung der differenzierten WZW (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit)-Kriterien mahnen immer mehr fehlende Medikamente der Grundversorgung zu einem entschlossenen Handeln der Verantwortlichen zum Schutz und Wohl der Patientinnen und Patienten

Die Gründe für die seit 15 Jahren sich verschlechternde Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit Arzneimitteln in normalen Lagen trotz eines allgemein leistungsfähigen Gesundheitswesens sind vielfältig. So führte die Ökonomisierung des Gesundheitswesens in westlichen Ländern bei gleichzeitiger Deregulierung und Subventionspolitik in Niedriglohnländern über Dekaden zu Abwanderung neuralgischer Produktionsschritte der Wertschöpfungskette aus Europa nach Asien. So findet die Herstellung von wichtigen Ausgangsstoffen, Wirkstoffen und Hilfsstoffen heute häufig in Ländern mit sehr tiefen Produktionskosten statt. Parallel dazu führte der kontinuierliche Preisdruck auf Arzneimittel der Grundversorgung dazu, dass Lieferketten betriebswirtschaftlich optimiert und höhere Skaleneffekte durch die Konzentration auf einige wenige grosse Hersteller entlang der Wertschöpfungskette durchgesetzt wurden.

Schweiz besonders verletzlich 
Diese Konzentration auf immer weniger Hersteller führt dazu, dass unter den Abnehmerstaaten weltweit ein Kampf um Produktionskapazitäten stattfindet. In einem derartigen Umfeld hat ein kleines Land wie die Schweiz die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass eine Versorgung mit den lebenswichtigen Arzneimitteln der Grundversorgung noch aufrechterhalten werden kann. Es ist somit umso besorgniserregender, dass in der Schweiz, die gerade mal 1.6% der gesamten abgesetzten Generikamengen Europas ausmacht, mit teils sehr komplexen regulatorischen Anforderungen – wie beispielsweise dem Zwang zum Angebot der gesamten Handelsformen des entsprechenden Originals für Generika und Biosimilars – die genau gleichen Fehler wie im nahen Ausland gemacht werden. In Deutschland beispielsweise hat ein kontinuierlicher, undifferenzierter Preisdruck, begleitet von einer enormen Zunahme der regulatorischen Komplexität, zu ausgeprägten Versorgungsengpässen geführt, die gerade in den bevorstehenden Wintermonaten für Patientinnen und Patienten wieder besonders spürbar werden. Aber auch hierzulande, wo gar eine Volksinitiative „Ja zur medizinischen Versorgungssicherheit ins Leben gerufen wurde, ist die Situation alarmierend: So listet das von Enea Martinelli geführte Portal drugshortage.ch aktuell 567 nicht lieferbare Produkte/Dosierungen und 731 nicht lieferbare Packungen sowie 276 betroffene Wirkstoffe (ATC-Gruppen) auf (Stand 7. 10.2024). „Es fehlen derzeit rund sieben Prozent aller kassenpflichtigen Medikamente. Das ist viel.“, wird der Chefapotheker der Spitäler Frutigen, Meiringen und Interlaken im Bericht vom 4. Oktober auf 20min.ch zitiert. Problematisch sei das vor allem dann, wenn es keine Alternativen für die Medikamente gebe – oder eine Umstellung nicht ohne weiteres möglich sei.

Intergenerika begrüsst differenzierte WZW-Kriterien
Diese, von Unsicherheit und Unplanbarkeit geprägte Ausnahmesituation ist zum Dauerzustand geworden. In letzter Zeit hat man hierzulande nicht nur mit vorübergehenden Engpässen zu kämpfen, man beobachtet vielmehr eine regelrechte Ausdünnung der Grundversorgung – bis zum totalen Wegfall von therapeutischen Möglichkeiten. Davon besonders betroffen sind Nischenprodukte wie z.B. Kinder-Arzneimittel – aber auch die alten, etablierten Onkologika oder Antibiotika. Angesicht dieser Versorgungslücken sehen sich Fachpersonen häufig gezwungen, auf wesentlich teurere Arzneimittel und Therapien auszuweichen. Während die ökonomische Attraktivität der Schweiz für die günstigen bis äusserst billigen Medikamente der Grundversorgung gelitten hat, sind die entstandenen Folgen immer mehr im Alltag ersichtlich – und zunehmend für die Patientinnen und Patienten spürbar. Vor diesem Hintergrund sprach sich der Bundesrat schon in einer Botschaft vom 7. September 2022 für eine Differenzierung der WZW-Prüfung aus und betont in diesem Zusammenhang die vorrangige Bedeutung der Versorgungssicherheit: „Im Sinne eines effizienten Einsatzes von Ressourcen sind im Rahmen der WZW-Prüfung Schwerpunkte namentlich in jenen Bereichen zu setzen, in denen durch die Überprüfung ein Nutzen hinsichtlich Verbesserung der Versorgung und Dämpfung der Kosten erwartet werden kann.“

Notwendige Differenzierung: kostengünstige Generika vs. teure, innovative Medikamente
„Angesichts der sich immer weiter zuspitzenden Lage begrüsst Intergenerika die Initiative zur Einführung von differenzierten WZW-Kriterien zur Stärkung der Versorgungssicherheit“, sagt Dr. Lucas Schalch, Geschäftsführer des Verbands. „Es handelt sich um einen unumgänglichen Lösungsansatz, um den Patienten Zugang zu den günstigen, teils lebenswichtigen Medikamenten der Grundversorgung aufrechtzuerhalten. Da die billigen Medikamente der Grundversorgung nicht mit den teuren und innovativen Medikamenten mit Patentschutz gleichzusetzen sind, fordert Intergenerika sowohl die Einführung verbindlicher Ausnahmekriterien für die Befreiung der dreijährlichen Preisüberprüfung als auch einen spezifischen Prozess zur Preiserhöhung aus wirtschaftlichen Gründen. „Die heutigen Preisbildungsprozesse vom BAG sind darauf ausgerichtet, die Preise so rasch wie möglich zu senken. Dem Kriterium der Wirtschaftlichkeit wird dabei eine zu hohe Priorität zugestanden, während Versorgungsaspekte völlig ausgeklammert sind“, moniert Lucas Schalch. „Es braucht nachvollziehbare und klare Kriterien, um die Preis- als auch Umsatzgrenzen zu definieren, ab welchen ein Medikament nicht wirtschaftlich gilt und es keinen weiteren Preissenkungen ausgesetzt wird.“ Ein weiterer zentraler Punkt ist die Möglichkeit zur Preiserhöhung aus wirtschaftlichen Gründen. „In einem Umfeld, in welchem die Weltmarktherstellungspreise nur die eine Richtung nach oben kennen, muss zwingend die Möglichkeit geschaffen werden, bei tiefpreisigen Medikamenten eine Preiserhöhung nach einem geregelten Prozess umzusetzen. Der heute in den Verordnungen und im SLHandbuch beschriebene Prozess (PEG) ist für eine Preiserhöhung nach wirtschaftlichen Gründen nicht ausgelegt“. Zu den für eine Preiserhöhung nachvollziehbare Kriterien gehören beispielsweise Angaben über das Ausmass der Entwicklung der Weltmarktpreise, Minimalpreise pro Packung und Minimalumsätze.

Aufruf zum schnellen und entschlossenen Handeln 
Der Schlussbericht 2024 der Interdisziplinären Arbeitsgruppe mit den Umsetzungsvorschlägen zu den Massnahmen des BAG-Berichts Arzneimittelversorgungsengpässe ist unmissverständlich als ein Aufruf an alle Akteure des Gesundheitswesens – die Krankenkassen und sowohl Santésuisse als auch curafutura als deren Interessensvertreter explizit miteingeschlossen – zu verstehen, die viel zu lange praktizierte Strategie eines undifferenzierten Preisdumpings bei Medikamenten der Grundversorgung umgehend zu stoppen. „Wir von Intergenerika fordern transparente und nachvollziehbare Kriterien, wann von einer weiteren Preissenkung bei Medikamenten abgesehen wird. Ebenfalls fordern wir die Möglichkeit, die Preise auf ein wirtschaftlich vertretbares Mass zu erhöhen. Angesichts der prekären Versorgungslage bei Medikamenten der Grundversorgung appellieren wir an die Entschlossenheit der Verhandlungspartner und Entscheidungsträger zum schnellen Handeln. Es wäre doch schizophren, über das Aussetzen der Preissenkungen zu verhandeln und bei den heute schon viel zu preisgünstigen lebenswichtigen Medikamenten hinzuwarten, bis sie vom Markt verschwinden und schlussendlich zu viel höheren Gesundheitsausgaben führen“, schliesst Dr. Lucas Schalch.

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